Ich habe lange überlegt, ob ich mich um die derzeit laufende Debatte zu Gewalt gegen Frauen, ausgelöst durch die erschreckend hohe Rate an Frauenmorden, zu Wort melden soll. Eigentlich möchte ich mich hier in diesem Medium aus Politik und Tagesgeschehen heraushalten, aber das Thema ist derzeit so allgegenwärtig, löst soviel Betroffenheit aus, dass ich mich nun doch dazu entschlossen habe.
Es stellt sich die Frage, warum gerade jetzt in diesem Ausmaß. Ich bin überzeugt davon, dass die Tendenz, es mit der Migrations- und Ausländerdebatte zu vermischen, völlig an der Thematik vorbeigeht. Aktuelle Zahlen belegen dies ja auch.
Grundsätzlich hat dies mit Herrschaftsverhältnissen, mit patriarchalen Strukturen zu tun. Seit ungefähr 5000 Jahren, mit Beginn der Sesshaftigkeit und der Entwicklung des Ackerbaues und den damit verbundenen sich ausprägenden Besitzverhältnissen, wurden die matriarchalen Systeme zunehmend zurückgedrängt (im Übrigen möchte ich nicht behaupten, dass das Matriarchat besser gewesen sei, auch dort hat es Gewinner und Verlierer gegeben). Mit der Inbesitznahme von Land wurden zunehmend auch die Frau(en) und Kinder in Besitz genommen.
Diese Haltung ist so tief verankert, dass sie nur schwer aus den Köpfen (oder Herzen? Oder Genen?) herauszubekommen ist. Dazu kommt, dass es immer noch vielfach so ist, dass Männer nicht wirklich lernen, ihre Gefühle auszudrücken. Die Verlustängste bei einer drohenden Trennung, die Kränkung, die Verzweiflung, all das beginnt, wenn es nicht ausgedrückt werden kann, wie in einem verschlossenen Topf zu gären und zu brodeln, und kann im schlimmsten Fall in einen Ausbruch von Gewalt münden.
Ich kann aber nicht umhin, auch die Frauen, die Mütter, in die Pflicht zu nehmen. Wenn ich meinem Sohn vermittle, dass er der Nabel der Welt ist und sich alles erlauben kann, wenn ich ihn hinten und vorne bediene, dann darf ich mich nicht wundern, wenn er diese Haltung übernimmt – Frauen sind dann dazu da, ihn glücklich zu machen. Das Beispiel des Vaters – im positiven oder negativen Sinne – tut hier ein Übriges.
Ein nicht zu unterschätzender Aspekt dieser Thematik liegt in der frühkindlichen psychosexuellen Entwicklung. Für einen Säugling ist die Mutter der Mittelpunkt der Welt, Aufgabe des Kindes ist es, sich mit zunehmendem Alter von ihr zu lösen und sich als Individuum hin zum Frau- oder Mannsein zu entwickeln. Für den kleinen Knaben ist dies schwieriger, da die Trennung von der Mutter umfassender, radikaler ist, während ein Mädchen im Nachahmen der Mutter ihr nahe bleiben kann.
Es würde zu weit führen, hier ausführlicher darauf einzugehen, nur so viel: Jede (drohende) Trennung kann nicht oder nicht ausreichend verarbeitete Ablösungsprozesse reaktivieren und damit als vernichtend erlebt werden.
Warum aber gerade jetzt in dieser Häufigkeit?
Ich denke, dass dies mit mehreren Faktoren zu tun hat. Ein Aspekt ist sicher, dass in unsere Gesellschaft insgesamt eine zunehmende Verrohung zu beobachten ist. Es ist immer schon gerauft worden, auf Festen und Veranstaltungen, besonders im Zusammenhang mit Alkohol, nur waren früher die Grenzen klarer. Wenn einer am Boden lag, war Schluss, jetzt wird oft genug noch nach dem am Boden Liegenden getreten. Wenn man bedenkt, wie vielen Gewaltszenen Jugendliche und bereits Kinder über Fernsehen, YouTube etc. ausgesetzt sind, dass Videospiele, die von der US-Army entwickelt wurden, um die Bereitschaft zum Töten bei den Soldaten herabzusetzen, im Umlauf sind, braucht einen das auch nicht zu wundern.
Hinzu kommt, dass es in unserer Gesellschaft zunehmend kälter wird, das Verständnis für sozial Schwächere (Psychisch und physisch Kranke, Obdachlose, Arbeitslose, Migranten …) nimmt immer mehr ab („… zu faul um in der Früh aufzustehen…“), ob dies eine Folge des Regierungswechsels oder der Regierungswechsel eine Folge dieser Einstellung ist, wage ich nicht zu behaupten.
Auch wenn mittlerweile seitens der Regierung eine Taskforce zum Thema „Gewalt gegen Frauen“ eingerichtet wurde, darf man nicht übersehen, wie viele Mittel, die genau in diese Richtung zielen, gekürzt (Familienberatungsstellen, der österreichische Frauenring, Netzwerk österreichischer Frauen- und Mädchenberatung) oder gar gestrichen (Frauenfilmfestival mit dem Schwerpunkt gegen Gewalt gegen Mädchen 2018, die Kampagne „One billion rising“, die weltweit auf Gewalt gegen Frauen aufmerksam macht) wurden.
Eine restriktivere Flüchtlingspolitik ändert mit Sicherheit nicht viel. Von einer essentiellen Bedeutung ist sicher die sogenannte Täterarbeit, ich glaube, dass auch die betroffenen Männer Hilfe und Unterstützung benötigen, die im Idealfall bereits dann einsetzt, wenn die ersten Warnzeichen auftauchen, bei der ersten „Watsche“, und nicht erst, wenn die Frau krankenhausreif geschlagen wurde. Männer, die auf Grund einer Wegweisung aus ihrer vertrauten Umgebung herausgerissen wurden, brauchen sofort eine fachlich kompetente Unterstützung, und nicht erst nach einem halben Jahr, wenn es zu einer gerichtlichen Verurteilung gekommen ist. Männerberatungsstellen, Antiaggressionstrainings und dergleichen müssten flächendeckend angeboten werden.
Letzten Endes wird nur eine langfristige prophylaktische Arbeit zielführend sein, eine Veränderung im Bewusstsein von uns allen. Ich bin überzeugt davon, dass dies möglich sein kann, wie man auch an dem Beispiel von Gewalt an Kindern sieht. Es ist noch nicht so lange her, dass Prügelstrafen sowohl in der Familie als auch im schulischen Bereich an der Tagesordnung waren, mittlerweile hat es sich weitgehend im Bewusstsein der Menschen durchgesetzt, dass Gewalt und Schläge nicht zu den adäquaten Erziehungsmitteln gehören.
Und ich denke, dass wir alle, als Menschen, als Mütter und Väter, gefordert sind, indem wir an unserer Gesprächskultur, an unserer Konfliktfähigkeit arbeiten und diese unseren Kindern weiter geben, indem wir unseren Söhnen vermitteln, dass sie Gefühle haben und zeigen dürfen, indem wir unseren Kindern beibringen, dass Gewalt keine Lösung ist, und nicht zuletzt, indem wir unseren Kindern zeigen, dass wir alle, Männer und Frauen, gleich viel wert sind, und ihnen, zuallererst, einen wertschätzenden, respektvollen Umgang miteinander vorleben.
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